
Was ist die Geschichte des Zahlungsunternehmens Worldline?
Im Dienstleistungsbereich des Zahlungsverkehrs und finanziellen Transaktionen ist der französische Konzern Worldline heute Marktführer in Europa und weltweit auf Platz 4. Wie ist es dazu gekommen? Wie sieht das Wachstums dieser Firma über die Jahre aus?
Die frühen Jahre mit Verdienst an der Carte Bleue
Worldline beginnt unter dem Namen Sligos im Jahr 1972 und ist stark verknüpft mit dem Aufkommen der Carte Bleue, der klassischen französischen Debitkarte der folgenden Jahrzehnte. Es handelte sich um das Verschmelzen von Cegos Informatique (bestehend seit 1962) und Sliga (seit 1970 die Datenverarbeitungsfirma innerhalb Crédit Lyonnais) zu einem neuen Zahlungsverkehrsunternehmen, das noch immer von einer der größten Banken Frankreichs, Crédit Lyonnais, kontrolliert wurde. Die Landesbank Frankreichs betreute Sligos mit der Entwicklung der Zahlungsprozesse zur Carte Bleue, und schon wenig später, 1975, wickelte Sligos 2,5 Millionen Zahlungsvorgänge im Jahr ab. 1980 waren diese auf 30 Millionen im Jahr angestiegen; die Bankkarte hatte sich in der Breite durchgesetzt. In den Achtziger Jahren setzte Sligos auf die Entwicklung des Mikrochips und führte die ’smarten‘ Kartenzahlungsvorgänge ein, die mit Pin-Nummern zur Autorisierung arbeiteten, was den allmählichen Rückgang des Verfahrens mit Auslesens des Magnetstreifens und einer händischer Unterschrift einleitete. Ende des Jahrzehnts waren 50 Millionen Bankkarten des nationalen Typs ‚Carte Bleue‘ ausgegeben. Damit war im Prinzip die landesweite Akzeptanz eines elektronischen Zahlungsmittels in Frankreich gelungen. Frankreich war in der Popularisierung von Smart Cards die Avantgarde in Europa. Aber erst 2003 erhielten Cartes Bleues mit der Angleichung an den internationalen EMV Standard eine Verwendungsmöglichkeit über die nationalen Grenzen hinaus. 2010 sind sie zugunsten Visa verschwunden.
Expansion ins Ausland und die Fusion mit Axime zu Atos
Mit den Neunziger Jahren setzte die Expansion von Sligos (spätere Worldline) über die Grenzen Frankreichs ein, der Erwerb des britischen Unternehmens Signet erfolgte im Jahr 1991 Es kam zu weiteren Erwerbungen in Deutschland (Marben Gruppe), Italien und Spanien bis zur Mitte der Neunziger. In einer Phase der Umstrukturierungen und des Verkaufs von Teilbereichen, wie dem der Smart Card Produktion, kam es zum nächsten größeren Ereignis in der Geschichte von Sligos, als es auf Vorschlag seines Konkurrenten Axime 1996 mit diesem fusionierte. Unter seinem früheren Namen Sodinforg (vor 1993) war Axime zu Frankreichs drittgrößtem Smart Card Zahlungssystem-Entwickler geworden. Auch Axime hatte durch die Akquirierung anderer Unternehmen ähnlich Sligos einen stetigen Aufstieg im E-Zahlungsverkehrswesen verzeichnet, aber das soll hier nicht weiter interessieren. Axime machte sich besonders im Börsensektor mit Software und elektronischen Systemen einen Namen. Sligos und Axime firmierten nach der Fusion dann ab September 1997 unter dem Begriff Atos.
Mit dem Namen Atos an die Spitze des Kontinents
Nach der Fusion kam es sogleich zu weiteren Reorganisationsmaßnahmen, mit der Schaffung von vier Schlüsselbereichen: Dienstleistungen, Multimedia, Outsourcing und Systemintegration. Bereiche, die in diese vier Sparten nicht passten, wurden abgestoßen. Dazu zählten Firmen für Computerhardware-Verkauf, Direktmarketing, Softwareentwicklung für die Netzwerkverknüpfung. Angekauft wurde Sesam (Italien), ein weiterer größerer Zusammenschluss machte nach der Übernahme von Origin (entstammte Royal Philips Electronics) aus Atos im Jahr 2000 Atos Origin. Jetzt konnte der Konzern von sich behaupten, die Nummer 3 geworden zu sein unter allen IT Firmen Europas, mit einem Jahresumsatz von damals 2,8 Milliarden Euro. Zu der Zeit kam der Trend auf, Systemintegration mit Beratungsdienstleistung zu verbinden. Dafür nahm man 2002 KPMG Consulting mit ihren Tätigkeitsbereichen Großbritannien und Niederlande in den Konzern auf. Ein wichtiger Deal in den Niederlanden sollte im selben Jahr die Übernahme von fast allen IT Operationen von KPN sein, im Gegenwert einer Milliarde Euro. Ende 2003 bekam Atos Origin mit SchlumbergerSema den führenden Anbieter von IT Dienstleistungen im Bereich der Ölindustrie in seinen Besitz. Dies sollte einen Türöffner bedeuten für das Vordringen in den chinesischen Markt, denn SchlumbergerSema brachte wichtige Betreuungsverträge mit, nämlich mit sechs von zehn existierenden chinesischen Banken, die Kreditkarten vergaben. Auf dieser Grundlage plante Atos Origin in China weiter zu expandieren und bis 2006 seine Tätigkeiten dort zu vervierfachen. Im Jahre 2004 taucht erstmalig der Name Worldline auf, als Atos eine neue Abteilung ins Leben rief für seine Zahlungs- und Onlinedienste, unter dem Namen Atos Worldline.
Atos Worldline wächst bis zur Autonomie
Zwei belgische Firmen kamen 2006 in den Besitz von Atos Worldline – Banksys und BCC. Erstere war zuständig für die Absicherung elektronischer Zahlungen in Belgien, die zweite regelte Zahlsysteme für Visa und MasterCard in Belgien. Dieser Deal hatte eine Größenordnung von 309 Millionen Euro Umsatz. Geschäftsführer Bernard Bourigeaud, der seit den Tagen von Axime die Geschicke von Atos geleitet hatte, gab im Herbst 2007 die Führung ab an Philippe Germond, der diese Position bis 2008 ausfüllte, um dann dem langjährigen Atos CEO Thierry Breton (bis 2019, heute EU-Kommissar für Binnenmarkt) Platz zu machen. Aus Indien erhielt Atos Worldwide 2010 für 100 Millionen Euro Venture Infotek, das Zahlungsabläufe unter Händlern, Banken und der Administration dieses Landes abwickelt. Im Jahr darauf stieß die IT Dienstleistungssparte von Siemens zu Atos Worldline und 2012 folgte Quality Equipment, eine niederländische Firma für elektronische Zahlungen. Im Jahr 2013 fand Thierry Breton Worldline für so bedeutend, dass diesem Geschäftsbereich innerhalb Atos mehr Autonomie zugestanden wurde, während Mutterkonzern Atos Origin 100 % Anteilseigner dieses ausgegliederten Tochterunternehmens Worldline blieb.
Abkoppelung von Atos und letzte Wachstumsstadien
Die Bemühungen um ständige Expansion gingen auch unter dem neuesten Namen weiter: einmal mehr war eine niederländische Firma Ziel einer Erwerbung; Equens kam zu Worldline im November 2015, auch wenn im ersten Schritt lediglich knapp 64 % der neuen equensWorldline Worldline selbst gehörten. Im Sommer 2017 kam Digital River World Payments aus Schweden für 37 Millionen Dollar in den Besitz der Franzosen aus Bezons, dem Hauptquartier von Worldline in der Peripherie von Paris. Danach wurde First Data Baltics aus Litauen für 73 Millionen Euro einverleibt. Diese Erwerbungen verblassen jedoch vor dem folgenden Einkauf von SIX Payment Services, der Zahlungsdienstleistungsbranche der Schweizer Börse, was Worldline 2,3 Milliarden Euro wert war. Diese Transaktion im Mai 2018 soll Worldline 30 % Umsatzsteigerung eingefahren haben. Im Folgejahr wurde Worldline durch Umbildung der Aktienanteile vollständig unabhängig vom Mutterkonzern Atos, dessen Anteile auf 27 % absanken. Die letzten großen Erwerbungen betrafen Ingenico, den Weltführer auf dem Gebiet der Geräteherstellung for E-Zahlungen (Februar 2020) und den osteuropäischen Online-Payment Dienstleister GoPay (April 2020). Das zeigt auch die Worldline Aktienanalyse. Der derzeitige Geschäftsführer Gilles Grapinet versucht seit Mai 2020 ein Bündis der maßgeblichen Konzerne der Europäischen Dienstleister für digitale Zahlungen zu erwirken durch Bildung der Dachorganisation EDPIA, deren Gründungspräsident er auch wurde. Aktuell teilen sich die Aktivitäten von Worldline in die Bereiche Merchant Services, Terminals-Solutions-Services, Financial Services und Mobility-E-Transactional-Services auf. 2018 machten die Financial Services mit etwas über 42 % fast die Hälfte des Umsatzes aus.
Source: Worldline
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